Der Naturalismus, also jene Literaturepoche in der Bahnwärter Thiel entstand, war geprägt von einem großen wissenschaftlichen Fortschritt. Dieser begann auch mehr ins Bewusstsein der Menschen zu dringen und ersetzte den vorher überall präsenten Glauben an einen übermächtigen Gott. Die Naturwissenschaften und die Entdeckungen der Medizin machten es möglich Übermenschliches zu leisten und der Glaube an die Technik und an den Fortschritt verdrängte mehr und mehr den Glauben an Gott und die christlichen Traditionen. Bei der Lektüre fällt aber auf, dass der Glaube doch eine Rolle zu spielen scheint:
Doch welche Rolle spielt der Glaube in der Novelle Bahnwärter Thiel und welche religiösen Aspekte lassen sich in der novellistischen Studie herausarbeiten.
Thiel der Kirchgänger
Wer die Novelle liest, dem wird bei den ersten paar Sätzen sofort ins Auge fallen, dass Thiel ein regelmäßiger Kirchgänger ist. Dies setzt sich über Jahre fort, auch wenn diese Jahre nur sehr kurz im Buch zusammengerafft sind. Jeden Sonntag besucht er die Kirche, nur zwei Unfälle schaffen es ihn von diesem regelmäßigen Ritual ab zu halten.
Er ist in der Gemeinde ein gern gesehener Gast, auch wenn die Wahl seiner Frauen nicht immer auf Gegenliebe stößt. So beurteilen die Leute in der Kirchengemeinde sehr genau welche Frau zu ihm passt und welche eher nicht. Hierbei richten sie sich aber weniger nach den inneren Werten der Damen, sondern vielmehr nach ihrem äußeren Erscheinungsbild.
Normen werden in Frage gestellt
Der Tod von Minna stellt auch Thiels alltägliches Leben auf den Kopf. So kommt es auch, dass er der Hochzeit mit Lene zugetan ist, obwohl er gar nicht wirklich liebevolle Gefühle für sie zu haben scheint. Er sieht in der Verbindung vielmehr eine Zweckehe, welche zur Aufzucht seines Sohnes gedacht ist. Dies ist jedoch nicht mit den, in den kirchlichen Gemeinden selbstverständlichen, Normen zu vereinbaren. Nach diesen hat man sich an ein Trauerjahr zu halten, wenn man Witwer oder Witwe wird.
Auch der Pastor gestattete sich, als Thiel die Trauung anmelden kam, einige Bedenken zu äußern:»Ihr wollt also schon wieder heiraten?«
»Mit der Toten kann ich nicht wirtschaften, Herr Prediger!«
»Nun ja wohl – aber ich meine – Ihr eilt ein wenig.«
»Der Junge geht mir drauf, Herr Prediger.«
Thiels Frau war im Wochenbett gestorben, und der Junge, welchen sie zur Welt gebracht, lebte und hatte den Namen Tobias erhalten.»Ach so, der Junge,« sagte der Geistliche und machte eine Bewegung, die deutlich zeigte, daß er sich des Kleinen erst jetzt erinnere. »Das ist etwas andres – wo habt Ihr ihn denn untergebracht, während Ihr im Dienst seid?«
Dem Pastor scheinen Thiels Argumente schließlich ein zu leuchten und er stimmt der Hochzeit zu.
Ersatzreligion
Im weiteren Verlauf der Novelle spielt die christliche Glaubenswelt kaum noch eine Rolle. Thiel hat zwar eine Bibel bei sich im Wärterhaus, diese verwendet er aber weniger um zu beten oder Gott zu gedenken, als mehr als Requisite für die Verehrung seiner verstorbenen Frau. Diese ist für ihn heilig und sein Arbeitsplatz, der sorgfältig abgetrennt ist von seinem Leben mit Lene, ist zu einer Art Kultstätte geworden an welcher er Minna gedenkt.
Thiel und die Kinder
Wenn Thiel mit den Kindern im Dorf Umgang hat, dann übernimmt er auch ernsthafte Erziehungsaufgaben. Dazu gehört es auch, dass er den Kindern lesen beibringt. Das macht er mit Hilfe biblischer Texte:
Überdies nahm Thiel auch ernste Dinge mit ihnen vor, hörte den Großen ihre Schulaufgaben ab, half ihnen beim Lernen der Bibel- und Gesangbuchverse und buchstabierte mit den Kleinen »a« – »b« – »ab«, »d« – »u« – »du« und so fort.Eichhörnchen
Im Verlauf des Buch spielt Religion gar keine Rolle mehr. Jedoch entwickelt sich ein Dialog zwischen Tobias und seinem Vater, als dieser ihn fragt ob es sich bei dem Eichhörnchen, welches ihren Weg kreuzt, um Gott handle. Thiel lacht seinen Sohn aus und erfreut sich daran, dass dieser sehr drollig sei.
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